"Juergen Staack"
Dr. Sabine Maria Schmidt
Feb. 2017
(in German)
for artist - KUNSTMAGAZIN
Ich habe das Bild noch genau vor mir. Kaum um die Ecke gebogen, stehe ich frontal vor einer doppelt besetzten Dolmetscherkabine. Zwei Personen lächeln mich an und beginnen zu sprechen. Sie sind nicht alleine. Noch in vier anderen Kabinen, die sich auf den Raum hin öffnen, sieht es ähnlich aus. Alle Personen, Frauen und Männer unterschiedlicher Herkunft, tragen weiße Hemden. Die Kabinen sind grau. Die ausgesparten Fensteröffnungen sind mit weißen Leisten gerahmt. Es entstehen schöne Portraits, Portraits von lebendigen Skulpturen? Der Raum ist sehr hell und sehr hoch. Ein Stimmengewirr beginnt, eine babylonische Polyphonie. Aus Lautsprechern tönen unterschiedlichste Sprachen, einige kann ich zuordnen: Spanisch, Französisch, Japanisch, Finnisch, Russisch, Englisch, andere nicht. Und rasch erkenne ich, über was gesprochen wird: Über mich, wie ich gerade im Raum stehe, aussehe und mich bewege. Das wird nun näher ausgetestet. Ich trete an eine Kabine näher heran. Weitere Personen treten ein. Ja, es geht um die Besucher, die zu Bildern einer sich ständig neu konfigurierenden Ausstellung deklariert werden. Ein Bildbeschreiber gibt den Text vor, der von den anderen Dolmetschern parallel übersetzt wird. Eine frei gesprochene Fuge fein rhythmisierter Stimmverlagerungen beginnt.
Wir sind im Museum Folkwang, es ist das Jahr 2011. Die zehntägige Dauerperformance „Fuge“ bezeichnet der Künstler später als eine zentrale Schlüsselarbeit in seinem Werk.
Zwei Jahre später geschieht in der Konrad Fischer Galerie die Performance „Script“. Hier passiert zunächst ähnliches. Auch in dieser Arbeit bilden die Besucher den Anlass von Bildbeschreibungen, die nun über Funk an die Zeichner weitergeleitet werden. Diese schreiben in unterschiedlichsten Sprachen das Geschilderte mit breiten Pinselstrichen auf an der Wand hängende Leinwände. Doch während sie schreiben, verdunstet die dünnflüssige schwarze Tusche wieder und das Aufgezeichnete verschwindet langsam, eine Technik, die an die japanische kalligraphische Zen-Tradition und das Sumi-e erinnert. Der Raum ist aufgeladen mit Poesie und Stille, die Besucher sind elektrisiert.
Das Werk von Juergen Staack will beschrieben werden während es sich ereignet. Und darin ist die Struktur seiner Bildproduktion in ungewöhnlich spezifischer Weise mit der Struktur seiner Werkrezeption verknüpft. Mentale Bilder schaffen, sie finden oder hinterlassen, sie zu distribuieren und zu verstecken, sie auflösen und erscheinen lassen, das sind künstlerische Vorgehensweisen, die alle Werkserien der letzten zehn Jahre miteinander verbinden.
Angefangen hat alles mit der Fotografie. Dabei stand zunächst nicht nur die Übersetzbarkeit von Fotografie in Sprache, sondern auch die materielle Fragilität des analogen und in seiner Flüchtigkeit auch digitalen fotografischen Bildes im Vordergrund. Als ausgebildeter Fotograf und Meisterschüler von Thomas Ruff begibt sich Juergen Staack 2005 und 2006 für sein Portrait „Left behind,...missing“ auf unzählige Reisen, u.a. nach Andorra, Marseille, Palermo, Vilnius, Kaliningrad, Boston, Kairo, Paris, Basel, Peking und New York. Insgesamt über 405 Polaroidaufnahmen entstehen auf der Straße. Die Portraitfotografien von Bewohnern einer Stadt wurden jeweils auf der nächsten Reisestation an Wänden im öffentlichen Raum hinterlassen und damit auch ihrem Schicksal überlassen. Einzig auf den Rückseiten gab es die Kontaktdaten des Künstlers, in der Hoffnung, dass einzelne der Unikate vielleicht doch zurückgesandt würden; eine Evaluierung möglich wäre. Die Reaktionen waren spärlich, der hohe Substanzverlust vorhersehbar. Interessanter dürften die Erfahrungen beim Fotoshooting und im Umgang mit illegal fixierten Bildern im öffentlichen Raum von Kairo, Peking oder New York gewesen sein; Erfahrungen, die der Künstler allerdings nicht in seiner Arbeit thematisiert.
Flüchtigkeit, Substanzverlust, die Fragilität der Materialität des fotografischen Bildes sind Themenfelder, die nun kontinuierlich weiterentwickelt werden. In einem Folgeprojekt läßt Staack Polaroids von Passanten beschreiben und gleichzeitig mit einem schwarzen Edding überzeichnen und auslöschen. Die akustischen Tondokumente präsentiert er später als Soundinstallation; die Lautsprecher, in Wandnischen eingebaut, sind dabei mit Leinwänden überspannt, deren Format von der Länge der Beschreibungen abhängt. Dann verzichtet Staeck gänzlich auf fixierte Bilder, nutzt den situativen fotografischen Akt ausschließlich zur Kommunikation und wendet sich zunehmend der Sprache zu.
Um den Abstraktionsgrad seiner Sound-Images zu steigern, recherchiert Staack über vom Aussterben bedrohte Sprachen. So forscht er auf mit Preisen und Stipendien geförderten Reisen durch Asien, Europa oder Sibirien ungewöhnlichen Phänomenen wie dem sibirischen „Eisflüstern“ nach („Oymiakon“, 2013); dem weltweiten Aussterben lokaler Sprachtraditionen („Transcription – Image“, 2008) und den mit ihnen verknüpften kulturellen Traditionen und ökonomischen Überlebensstrategien. In „Tsukiji“ (2010), einer reinen Soundinstallation mit hängenden Betonlautsprechern erleben wir die einzigartige Auktionssprache japanischer Thunfischhändler auf dem größten Fischmarkt in Tokio. In Peking, wo er länger lebte, haben es ihm vor allem die Händler und Tagelöhner in den alten Stadtvierteln, den „Hutongs“ angetan. Fast wie abstrakte Malerei erscheinen die systematisch von Ordnungskräften übertünchten Telefonnummern an Häuserfassaden, mit denen Tagelöhner ihre Dienste anpreisen. Staeck fotografiert die palimpsestartig immer wieder neu aufgetragenen Telefonnummern für seine Installation „Wei“ (chin. „Hallo“) von 2012 als Dokument beharrlicher Widerständigkeit. Für die Tondokumente ruft er an.
Das Thema verfolgt Staack auch in „Andingmen“, seiner Züricher Installation im öffentlichen Raum. Dort spürt eine tönerne Asphaltfläche, abstrakt wie ein schwarzes Quadrat, den akustischen Spuren dieser alten Tradition des Straßenhandels nach, die aus Asien in eine schweizerische Fußgängerzone transferiert sind. Bis in die 90er Jahre prägten die Hutong-Viertel mit traditionellen Wohnbebauungen und engen Gassen das Stadtbild Pekings, die weitgehend verschwunden sind. Die Tonaufnahmen folgen den noch verbliebenen Händlern, die rufend und singend Waren anbieten bzw. anfragen, was sie von den Bewohnern erwerben können. Man kann über im Boden verborgene Lautsprechern den räumlichen Bewegungen der ‚Geisterhändler’ folgen, doch ihrer aus Raum und Zeit enthobenen Bedeutung nicht mehr gewahr werden. Die Andingmen nutzen einen streng dialektischen Sprachcode, der selbst nur mehr von wenigen Einheimischen verstanden werden kann.
Transformation – und Übersetzungsprozesse gehören zum Wesen der Bildenden Kunst. Kunst rückt etwas ins Bild, das zuvor etwas Anderes war. Jedes Kunstwerk stellt einen Übersetzungsprozess dar, auch wenn dieses keinen sprachlichen Ursprung haben muss. Bei Staeck werden Übersetzungsprozesse allerdings in einer ganz neuen Weise „aufgemischt“ und das Modell von „Sender – Nachricht – Empfänger“ durch den Einsatz unlesbarer Codes und sich auflösender Nachrichten empfindlich gestört. Die Arbeiten führen nicht nur die gravierenden Fehlstellen zwischen Wahrnehmung und Kommunikation vor, sondern auch die Grenzen bildhafter Repräsentation. Im Zeitalter einer alles beherrschenden globalen Bildkultur stellt Juergen Staack die Frage nach den bilderzeugenden Grundlagen und Elementen gänzlich neu, indem er vor paradoxerweise und völlig unspektakulär zum Zuhören auffordert. Was ist denn nun ein Bild? Wo fängt es an? Wo hört es auf? Welche Codes sind nötig, um es zu lesen? Welche gehen verloren?
Damit steht er natürlich nicht alleine. Fototheoretisch haben vor allem Künstler wie Allan Sekula oder Victor Burgin in den 1980er Jahren auf die Abhängigkeit der Lesbarkeit von Fotografien von kulturellen Kontexten und Codes hingewiesen. Künstlerisch ist die erzählende Beschreibung spätestens mit Beginn des 21. Jahrhunderts „up to date“. Zu erinnern sei an Dora Garcias Live-Erzählungen im öffentlichen Raum, Karin Sanders Ausstellungsprojekt „Arbeiten, die man sich erzählen kann“ von 2003. Hier bat sie Künstlerfreunde, Lieblingswerke zu beschreiben, später wurden diese in einem White-Cube über Kopfhörer zugänglich. Auch Tino Seghals rigide Verweigerung fotografischer und filmischer Dokumentationen seiner Performances, die verbale Zeugenschaft verlangen, fällt unweigerlich zum Vergleich ein. Vor allem in der Videokunst der 1990er Jahre haben zahlreiche Künstler neue Ansätze entwickelt, in denen der Aspekt der gesprochenen Sprache, die Dringlichkeit des Sprechens, das Sprechen in Literatur, in den Vorrang rückte: „Talking Pictures“ nannte man diese Richtung in einer gleichnamigen Ausstellung.
In den 60er und 70er Jahren ging es vor allem darum ging, bildnerische Sachverhalte auf ihre einfachsten und elementarsten Begriffe zurückzuführen, die Kunst von allen Seh- und Bedeutungsassoziationen zu entladen und gewissermaßen zu reinigen, ein Erbe, das Staacks letztlich konzeptuell angelegte Arbeiten noch in sich tragen. Zugleich greift es die Erfahrungen beschreibender Erzählung und Inszenierungen der Kunst der letzten Dekade auf; wobei die mittlerweile kaum mehr zu ertragenden dialogischen, partizipatorischen und überpädagogischen Vermittlungsformen tunlichst vermieden werden.
Besonders faszinierend ist die Betrachtung der Arbeit Juergen Staacks im Kontext der „expanded photography“, da, wo sie immer wieder auf das Leitmedium der Fotografie zurückführt und dabei zugleich die Wirkmächtigkeit und Gültigkeit des visuellen Bildes in Frage stellt. Nicht zuletzt klingt dieses ebenso in der Installation „Fuge“ wie auch in der Züricher Installation „Andingmen“ wieder. Die erste erhaltene Photographie eines Blicks aus dem Atelierfenster von J. N. Nièpce aus dem Jahr 1826 wurde mittels einer asphaltbeschichteten Zinnplatte fixiert. Der schwarze Asphaltboden der Zürcher Installation schafft einen gerahmten Raum für ein akustisches Palimpsest, dessen imaginierte Bilder von den Passanten immer wieder neu überschrieben werden können. „Was geschah wirklich zwischen den Bildern“, fragt Werner Nekes mit dem Filmtitel für seinen Dokumentarfilm über das Zauberreich der bewegten Bilder der vor-filmischen Zeit. Die Geschichte des Sehens macht ohne die Geschichte des Nichtsehens keinen Sinn, so wie die Geschichte des Hörens keinen ohne die Momente Stille macht. Die Strategien künstlerischer Sichtbarmachung sind ohne Strategien des Verschwindens undenkbar. Vielleicht kommt Staack auch deshalb neben den willentlich „autodestruktiven“ Arbeiten immer wieder auf klassische Bilderscheinungen zurück, so mit seinen „Tableaus“ (seit 2014), den rein durch Sonnenlicht belichteten Glasdiafotografien auf Holz oder mit der Installation „Shadows“ im Oldenburger Kunstverein, eine durch Spiegel umgeleitete Licht-Schatten-Projektion.
Was geschieht zwischen den Bildern, fragt man sich auch bei den Werken Juergen Staacks. Jüngst installierte er in einem Privatpark in Korea eine riesige Camera Obscura mit einer belichtungsfähigen Holzwand im Inneren. In zwanzig Jahren soll die Fotografie der Landschaft, auf die sie ausgerichtet ist, fertig sein. Dann ist zu sehen, was noch übriggeblieben sein wird. Hoffentlich ein „Déjà-vu“!
Solo-exhibition at Kunstverein Oldenburg
published at "artist - KUNSTMAGAZIN" - No. 110 (February 2017)
about the works WEI, WEI (deframed), SHADOWS, Tableaux, FUGE, ANDINGMEN, TSUKIJI, Déjà-vu, ...